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14. Workshop der gmds-Arbeitsgruppe "Computerunterstützte Lehr- und Lernsysteme in der Medizin (CBT)" und des GMA-Ausschusses "Neue Medien"

Institut für Didaktik & Bildungsforschung im Gesundheitswesen (IDBG),
Private Universität Witten/Herdecke

16.04. - 17.04.2010, Witten

Konzeption einer Ontologie medizinischer Lernziele

Design of an Ontology of Medical Educational Objectives

Meeting Abstract

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  • corresponding author Martin Boeker - Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg i. Br., Deutschland
  • author Felix Balzer - Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg i. Br., Deutschland
  • author Stefan Schulz - Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg i. Br., Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Gesellschaft für Medizinische Ausbildung. 14. Workshop der gmds-Arbeitsgruppe "Computerunterstützte Lehr- und Lernsysteme in der Medizin (CBT)" und des GMA-Ausschusses "Neue Medien". Witten, 16.-17.04.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10cbt35

doi: 10.3205/10cbt35, urn:nbn:de:0183-10cbt359

Published: April 13, 2010

© 2010 Boeker et al.
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Die Domäne der Medizinischen Ausbildung verbindet in ihren Lernzielen kognitive Funktionen, affektive oder motorische Fähigkeiten oder Kompetenzdefinitionen mit den Inhalten aus der klinischen und wissenschaftlichen Medizin, wie Strukturen von Organismen, Funktionen und Störungen, genauso wie diagnostischen und therapeutischen Prozeduren.

Eine Annotation und Re-Strukturierung medizinischer Lernziele aufbauend auf den Prinzipien und Werkzeugen der formalen Ontologie ist deshalb so viel versprechend, weil es damit möglich wird, Lernziele semantisch zu suchen, zu klassifizieren, zu vergleichen und inhaltlich zu validieren.

Obwohl weite Bereiche der medizinischen Inhalte, die an Lernziele gekoppelt sind, bereits durch bestehende bio-medizinische Terminologien abgedeckt sind, bestehen noch viele Herausforderungen an die Konzeption einer Ontologie von medizinischen Lernzielen, besonders im Bereich kognitiver, affektiver und motorischer „Prozesse“, sowie der ontologischen Definition von Kompetenzen.

Wir stellen hier einen möglichen Entwurf für eine Ontologie von medizinischen Lernzielen aufbauend auf den Toplevel Ontologien DOLCE und BioTop vor. Besondere Beachtung finden dabei die Repräsentationen von Plänen sowie von didaktischen, kognitiven und affektiven Entitäten auf der einen Seite als auch der prototypischen „Blueprint“-Entitäten auf der anderen Seite, mit deren Hilfe „kanonische“ Lehrinhalte von der Realität abstrahiert werden können.

Einleitung: Nur durch eine qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten im Gesundheitswesen kann die Versorgungsqualität für Patienten in Deutschland dauerhaft erhalten werden. Dabei kann die Standardisierung und Formalisierung von Lernzielen ein wichtiges Mittel sein die Komplexität und Inkonsistenzen in diesem hochdynamischen Bereich mit seinen sich rasch verändernden Inhalten zu reduzieren.

Lernziele stehen im Zentrum jedes Lehr- und Evaluationsgeschehens [1] (Abbildung 1 [Abb. 1]). Seit über 50 Jahren dienen Lernziele als „explicit formulations of the ways in which students are expected to be changed by the educative process“ [2]. Auf Grundlage dieser wichtigen Funktion wurden eine große Zahl von Lernzielen für die medizinische Ausbildung formuliert und in Katalogen gesammelt. Dabei sind neben Lernzielkatalogen einzelner Fakultäten auch Lernzielkataloge auf nationaler Ebene [3] entstanden. Auch in Deutschland soll in absehbarer Zeit ein Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin als gemeinsames Projekt der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) und des Deutschen Fakultätentages (MFT) entstehen [4].

Trotz des sehr aufwändigen Prozesses gute Lernziele zu formulieren und in Katalogen zu sammeln, haben ihre Nutzer – z.B. Lehrende, Lernende und Kurrikulumsentwickler – nur eingeschränkten Nutzen. Es ist schwierig auf die große Zahl von Lernzielen zu einem Thema in praktischer Weise zuzugreifen: Inhalte eines medizinischen Kurrikulums, das die gesamten prä-klinischen und klinischen Fächer abdecken muss, sind so verschieden wie die Erwartungen an das Wissen, die Fähigkeiten und die Kompetenzen der zukünftigen Ärzte und anderer Beschäftigter im Gesundheitswesen.

Bisher wurden Lernziele in einer mehr oder weniger festgelegten Form narrativ formuliert, ohne jede Referenz auf vorhandene standardisierte Terminologien - abgesehen davon, dass einige Kataloge für bestimmte Krankheiten und Symptome auf die International Classification of Diseases (ICD) verweisen. Als Konsequenz ist der Inhalt von Lernzielen unterschiedlich interpretierbar und vorhandene Hierarchien sind zwar intuitiv aber informell festgelegt, wie z.B. die revidierte Bloomsche Taxonomy of Educational Objectives [5].

Aus diesem Grund schlagen wir vor den Prinzipien von formalen Ontologien zur Repräsentation von Lernzielen zu folgen. Eine derartige formalontologisch definierte Ontologie von Lernzielen ist für die Annotation narrativ formulierter Lernziele in Lernzielkatalogen geeignet und würde damit u.a. folgende Operationen auf Lernzielkatalogen ermöglichen:

  • Semantische Suche und Navigation: durch die hierarchisierte Struktur einer Ontologie, die ganz verschiedenen Kriterien folgen kann (didaktischen und organisatorischen Gesichtspunkten wie Kompetenzniveau, Semester der Lehre, Unterrichtseinheit; aber auch inhaltlichen wie der Anatomie mit Lokalisation und Teile-Ganzes-Beziehungen, Ätiologie, Krankheit, Symptom, etc) ist es möglich, eben nach diesen Kriterien Lernziele zu suchen oder in einer Oberfläche zu „browsen“. Eine Beispielanfrage könnte sein: „Welche Lernziele gibt es für eine Studierende des 1. klinischen Semester, die sich auf Stoffwechselerkrankungen beziehen? Auf welchen Lernzielen bauen diese auf?“.
  • Konsistenzcheck: häufig bauen Lernziele nicht in einer logischen Weise aufeinander auf oder sind redundant. Dem Kurrikulumsplaner fehlt dabei eine Möglichkeit in hunderten von Lernzielen die Sequenz und Abfolge inhaltlich zu kontrollieren. In einer Ontologie kann festgelegt werden, wie sich Lernziele aufeinander beziehen, womit sie die interne Logik der Lehre explizit machen. Wenn durch Veränderung oder Verschiebung von Lernzielen in anderen Bereichen des Kurrikulums die logische Abfolge beeinträchtigt wird, kann ein Kurrikulumsplaner sofort darauf reagieren.
  • Aufbau und Wartung: Anhand der formalisierten expliziten Struktur, die eine Ontologie ausmacht, können Werkzeuge zur Formulierung von Lernzielen implementiert werden, mit deren Hilfe es Dozierenden erleichtert werden kann, gute und im Rahmen des Kurrikulums konsistente Lernziele zu formulieren.
  • Semantische Mediation und Interoperabilität: Über eine geeignete Lernzielontologie kann auf heterogene Datenbanken unterschiedlicher Einrichtungen mit der gemeinsamen formalen Semantik der Ontologie zugegriffen werden kann. Damit werden verschiedene Lernzielkataloge trotz ihrer strukturellen Unterschiedlichkeit in einem gewissen Rahmen gemeinsam nutzbar und vergleichbar, womit z.B. eine gemeinsame Nutzung derselben Kataloge auf individualisierter Basis für einzelne Fakultäten einfacher wird. Auch ein formaler Vergleich verschiedener Fakultäten und Studiengänge auf Ebene von Lernzielen rückt damit ein Stück näher.

Wir schlagen vor, eine Ontologie medizinischer Lernziele auf Grundlage eine „anerkannten“ Toplevel-Ontologie wie DOLCE [6] oder BioTop [7] zu entwickeln, um auf deren Grundstrukturen und -relationen aufbauen sowie Design-Fehler von vornherein vermeiden zu können. Auf Seite der Lerninhalte kann auf eine Reihe bestehender biomedizinischer Referenzterminologien zurückgegriffen werden, z.B. auf SNOMED CT [8] für die klinische Domäne und auf verschiedene OBO Foundry [9] Ontologien für die theoretischen biomedizinischen Inhalte.

Funktionen und Struktur von Lernzielen: Die Formulierung von Lernzielen spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung eines medizinischen Curriculums, indem allgemeine und spezifische Anforderungen und Bedürfnisse verschiedener Nutzer des Curriculums, insbesondere der anvisierten Lerner, adressiert werden [10]. Die besondere Bedeutung der Lernziele wird anschaulich durch die unterschiedlichen Rollen, die sie im Lehr-/ Lernprozess einnehmen können (Abbildung 1 [Abb. 1]) [1]. Lernziele vermitteln:

  • den Fokus der Instruktion/ Lehre
  • Guidelines für das Lernen
  • Ziele des formativen und summativen Prüfens
  • die Zielsetzung der Lehre an Dritte
  • Möglichkeiten zur Lehr-Evaluation.

Lernziele werden heute meistens als das zu erreichende Lernergebnis am Ende des Instruktionsprozesses formuliert, so dass sie erlauben, die Lehrenden hinsichtlich des Erreichens dieses Ergebnisses zu überprüfen. Wenn die Lernziele auf diese Weise formuliert werden, repräsentieren sie eindeutig und klar, was von den Lernenden nach dem Lernprozess erwartet wird, z.B. durch die Demonstration von Wissen, die Ausübung von psycho-motorischen oder kommunikativen Fähigkeiten oder sogar in der Beobachtung des komplexen Verhaltens, das mit bestimmten Haltungen verbunden sein kann.

Es gibt keinen einheitlichen Weg Lernziele zu formulieren – nur „Empfehlungen“ - , allerdings folgt ihre Form oft einem Schema wie im folgenden Beispiel:

The physician is able to assess a patient presenting this problem [from a list of given medical problems] in a well-structured way, and to establish a differential diagnosis.

She/he is able to propose appropriate diagnostic, therapeutic, social, preventive and other measures, and to provide urgent intervention in case of life-threatening problems [3].

Dieses Lernziel definiert (1) WER (2) WIE VIEL oder WIE GUT von (3) WAS (4) TUN kann. D.h. ein Lernziel-Ausdruck umfasst einen (1) AGENTEN (normalerweise den spezifisch andressierten Lernenden), der eine bestimmte (4) AKTION, die einem definierten (2) PERFORMANZ-LEVEL zugeordnet ist, ausführt, um seine erworbenes WISSEN oder seine erworbenen FÄHIGKEITEN bzw. HALTUNGEN hinsichtlich eines gegebenen (3) INHALTES unter Beweis zu stellen.

Wie mit Hilfe der BioTop Domänen-Upper-Level Ontologie7 zusammen mit der DOLCE Top-Level Ontology6 und der OBO Relation Ontology ein Lernziel formalisiert werden kann, ist in Abbildung 2 [Abb. 2] dargestellt.

Referenz auf Lerninhalte in der Definition von medizinischen Lernzielen: Der Korpus von medizinischen Lernzielen bezieht sich auf definierte medizinische Inhalte, die ihrerseits durch eine ganze Reihe biomedizinischer Vokabularien und Terminologien abgedeckt sind. Aus diesem Grund wird sich eine Ontologie medizinischer Lernziele auf diese bereits existierenden terminologischen bzw. ontologischen Ressourcen beziehen müssen, indem sie diese entweder inkludiert oder referenziert, um medizinische Inhalte ihrerseits abdecken zu können. Wichtige Entitäten zur Definition spezifischer medizinischer Lernziele beziehen sich auf anatomische und bio-molekulare Strukturen, die Ätiologie, die Epidemiologie, die klinischen und diagnostischen Eigenschaften von Krankheiten, clinical pathways, diagnostische und interventionelle Techniken, etc.

Der überwiegende Teil dieser Entitäten ist bereits mit den derzeitigen biomedizinischen Ontologien, Terminologien und Klassifikations-Systemen, wie z.B. SNOMED CT, ICD, OBO, abgedeckt. Allerdings führt die Referenzierung auf diese Entitäten in einer Lernzielontologie zu neuen ontologischen Herausforderungen, da große Unterschiede zwischen der „Standard-Nutzung“ von biomedizinischen Domänenontologien und ihrer Nutzung im Kontext von Lernzielen bestehen.

Wir begegnen diesen ontologischen Problemen mit der Einführung sogenannter „Blueprint“-Klassen, die auf die Anforderungen einer Lernzielontologie angepasst sind und trotzdem die Referenzierung von bestehenden Ontologien und Terminologien erlauben (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Schlussfolgerung: Die Referenzierung bestehender bio-medizinischer Ontologien im Kontext einer medizinischen Lernzielontologie erfordert ein neues Modellierungsmuster, dem wir mit der Einführung einer neuen Klasse von „Blueprint“-Objekten begegnen, mit deren Hilfe prototypische Beschreibungen medizinischer Inhalte möglich werden, ohne ihre Instanziierung zu fordern.

Warum sollten bestehende und zu entwickelnde Lernzielkataloge mit einer aufwändigen Lernzielontologie indiziert werden? Durch die formal-logische Struktur einer Ontologie werden viele Operationen auf Lernzielkatalogen erst möglich: u.a. semantische Navigation und Suche, Konsistenzüberprüfung, bessere Wartung und (Weiter-) Entwicklung sowie im weitesten Sinnen eine semantische Mediation und Interoperabilität zwischen heterogenen Lernzieldatenbanken.

Wir stellen hier eine erste Konzeption zu einer Ontologie von medizinischen Lernzielen als Entwicklungsstudie vor.


Literatur

1.
Gronlund NE, Brookhart SM. Gronlund's Writing Instructional Objectives. Upper Saddle River, New Jersey: Pearson Education, Inc; 2009.
2.
Bloom BS, Engelhart MD, Furst EJ, Hill WH, Krathwohl DR, editors. Taxonomy of educational objectives: handbook I: Cognitive domain. New York: David McKay; 1956.
3.
Bürgi H, Rindlisbacher B, Bader C, Bloch R, et al, editors. Swiss Catalogue of Learning Objectives for Undergraduate Medical Training: Under a mandate of the Joint Comission of the Swiss Medical Schools. 2.th ed. Bern: University; 2008.
4.
Hahn EG, Fischer MR. Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin (NKLM) für Deutschland: Zusammenarbeit der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) und des Medizinischen Fakultätentages (MFT). GMS Z Med Ausbild. 2009;26(3):Doc35. Availble from: http://www.egms.de/static/en/journals/zma/2009-26/zma000627.shtml External link
5.
Anderson LW, Krathwohl DR, Airasian PW, Cruikshank KA, et al, editors. A Taxonomy for Learning, Teaching, and Assessing: A Revision of Bloom's Taxonomy of Educational Objectives. New York: Longman; 2001.
6.
Masolo C, Borgo S, Gangemi A, Guarino N, Oltramari A. Report Title: WonderWeb Deliverable D18. Ontology Library (final). 2003.
7.
Beisswanger E, Stenzhorn H, Schulz S, Hahn U. BioTop: An upper domain ontology for the life sciences: A description of its current structure, contents, and interfaces to OBO ontologies. Applied Ontology. 2008;3(4):205-12.
8.
International Healthcare Terminology Standards Development Organisation (IHTSDO). Standardised Nomenclature of Medicine – Clinical Terms (SNOMED CT). Available from: http://www.ihtsdo.de (Last accessed June 10, 2009) External link
9.
Smith B, Ashburner M, Rosse C, Bard C, Bug W, Ceusters W, Goldberg LJ, Eilbeck K, Ireland A, Mungall CJ, Leontis N, Rocca-Serra P, Ruttenberg A, Sansone SA, Scheuermann RH, Shah N, Whetzel PL, Lewis S; The OBI Consortium. The OBO Foundry: coordinated evolution of ontologies to support biomedical data integration. Nature Biotechnology. 2007;25:1251-5.
10.
Kern DE, Thomas PA, Howard DM, Bass EB. Curriculum Development for Medical Education: A Six-Step Approach. Baltimore, Maryland: The John Hopkins University Press; 1998.