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Familienorientierte Begleitung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett für Geschwister
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Published: | September 15, 2011 |
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Geschwister in Mehrkindfamilien entwickeln eine spezifische, horizontal determinierte Fähigkeit, mit den Herausforderungen der innerfamilialen Neuorganisation nach der Geburt eines weiteren Kindes umzugehen. Dabei spielt auch das Neugeborene eine entscheidende Rolle. Grundlage der Präsentation sind Teilergebnisse einer empirischen Fallstudie zur Geschwisterdynamik in Mehrkindfamilien, in der u.a. die Bewältigung der Transitionsphase nach der Geburt im Geschwistersubsystem untersucht wurde. Dabei konnten drei Schlüsselkategorien generiert werden, die als symmetrische Reziprozität, dyadisches Coping und Ko-Konstruktion von Wirklichkeit in der Theorie der multiplen Beziehungsbereicherung zusammengefasst wurden. Die qualitative Fallstudie basiert auf familienpsychologischen Datenerhebungsinstrumenten. Mit einem kinderdiagnostischen Design wurde auf Grundlage der Grounded Theory die Theorieentwicklung gesichert. Babies fungieren in der Familie als Türöffner für kindliche Bedürfnisse. Mütter zeigen sich kindorientierter in ihrem Erziehungshandeln, wenn ein Säugling in der Familie ist. Ältere Geschwister profitieren vom Muster der geteilten Aufmerksamkeit, das insbesondere die Mütter in Mehrkindfamilien zu einem fein abgestimmten Interaktionsniveau internalisieren. Die Kinder erleben eine elternunabhängige Verantwortungsübernahme für die anderen Geschwister, identifizieren sich mit Versorgungsattributen und probieren sich in unbeobachteten Interaktionssequenzen aus. Insgesamt werden in dieser Studie Entwicklungsanreize durch die Phase der Instabilität nach der Geburt eines Geschwisterkindes herausgearbeitet. Die Kompetenzentwicklung im Umgang mit Affekten wird gestärkt und Empathie kann sich herausbilden. Kleine Geschwister sind dabei als Ressource für die Älteren zu bewerten. Sterns kompetenter Säugling wird hier als kompetenter, aktiver Interaktionspartner im Geschwistersubsystem beschrieben. Das wirkt sich auf die Stabilisierung der seelischen Gesundheit aller Kinder aus. Durch die Lebenswirklichkeit im Kleinkindalter, die meiste Zeit zusammen zu sein, entwickelt sich implizites Beziehungswissen. Beziehungserfahrungen verdichten sich zu internen Repräsentanzen, die als Folie für anschließende Sozialbeziehungen gelten. Geschwisterschaft ist damit als protektiver Faktor in Familien zu verstehen. Für die familienorientierte Begleitung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ergeben sich daraus Handlungsempfehlungen, die in Vor- und Nachsorge, rund um die Geburt und insbesondere für Hausbesuche eine hilfreiche Anregung bedeuten, Geschwister einzubinden und damit die Anpassungsphase der Mehrkindfamilie kompetent zu begleiten. Dabei wird abschließend FamGeb® – ein ganzheitliches Geburtsvorbereitungskonzept für Familien vorgestellt, das sich wesentlich insbesondere durch den kindorientierten Fokus und den psychologischen Hintergrund von Geschwisterkursen an Kliniken unterscheidet.