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28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

Stimm- und Schluckstörungen als Spätfolgen nach p.o. Radiatio bei Schilddrüsen-Ca

Vortrag

  • corresponding author Heidrun Schröter-Morasch - Entwicklungsgruppe Klinische Neuropsychologie, Städtisches Klinikum München GmbH, München, Deutschland
  • G. Bartolome - Städtisches Klinikum München GmbH, München, Deutschland
  • L. Fischbacher - Städtisches Klinikum München GmbH, München, Deutschland
  • W. Ziegler - Städtisches Klinikum München GmbH, München, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppV10

doi: 10.3205/11dgpp13, urn:nbn:de:0183-11dgpp136

Published: August 18, 2011

© 2011 Schröter-Morasch et al.
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Zusammenfassung

In zahlreichen Publikationen werden Langzeitergebnisse nach radiologischer Tumorbehandlung im Kopf-Hals-Bereich im Hinblick auf funktionelle Beeinträchtigungen von Atmung, Stimmgebung und Schluckvermögen mit entsprechender Minderung der Lebensqualität dokumentiert [1]. Seltener finden sich jedoch Angaben über Patienten, bei welchen es nach Abklingen der Akutsymptomatik und einem jahrelangen relativ beschwerdefreien Intervall zu schwersten Veränderungen kommt [2], [3]. Wir haben daher die Daten von 9 Patienten analysiert, die uns wegen klinisch relevanter Dysphagie bei Z. n. Operation und postoperativer Strahlentherapie eines Schilddrüsen-Carcinoms zugewiesen worden waren (n =9; 8w, 1m, Alter 38–75 Jahre, Median 55 J.). Der Zeitpunkt der chirurgischen und radiologischen Tumorbehandlung lag bei der Mehrzahl mehr als 20 Jahre zurück (10–39 J.). In der Regel bemerkten die Patienten zunächst Stimmveränderungen und/oder Atemprobleme mit Luftnot, später Schluckbeschwerden mit gehäuften Infekten bis schweren Pneumonien. Als Hauptursachen wurden erfasst: (1) Fibrosen der Halsweichteile mit Einschränkung der Beweglichkeit von Hyoid und Larynx, (2) Sensibilitätsstörungen, (3) starrer Aditus laryngis, Stimmlippenparesen, (4) Stenosen bzw. Transportineffizienz des Oberen Ösophagussphinkters. Aufgrund der erhöhten Komplikationsrate chirurgischer Interventionen nach Radiatio (2 Patienten verstarben an den Folgen einer Tracheotomie, 1 Patientin nach plastischer Rekonstruktion des OÖS) sollte ein konservatives Behandlungskonzept angestrebt werden, welches dargestellt wird. Eine Erweiterung der Langzeitbewertung chirurgischer vs. radiologischer Tumortherapie ist zu diskutieren.


Text

Einleitung

Langzeitergebnisse nach radiologischer Tumorbehandlung im Kopf-Hals-Bereich im Hinblick auf funktionelle Beeinträchtigungen von Atmung, Stimmgebung und Schluckvermögen mit entsprechender Minderung der Lebensqualität werden in zahlreichen Publikationen dokumentiert [1]. Seltener finden sich Angaben über Patienten, bei welchen es nach Abklingen der Akutsymptomatik und einem jahrelangen relativ beschwerdefreien Intervall zu schweren Veränderungen kommt [2], [3]. Dabei handelt es sich in der Regel um Patienten nach der Behandlung oro-pharyngo-laryngealer Tumoren mit entsprechenden Defekten der Strukturen für die Stimmgebung, die Artikulation und/oder die Schluckfunktion. Wiederholt beobachteten wir jedoch auch bei Patienten nach Operation und Bestrahlung eines Schilddrüsen-Carcinoms nach Jahrzehnte dauernder Latenz schwere Funktionsstörungen dieser Bereiche. Wir bemühten uns daher um die Erfassung von Art und Ausmaß der Schädigungen sowie die Erarbeitung eines diagnostischen und therapeutischen Konzeptes.

Methode

Wir analysierten die Daten von 9 Patienten, die uns innerhalb von 6 Jahren wegen rezidivierender Infekte, Stimmproblemen und einer unklaren Beeinträchtigung der oralen Nahrungsaufnahme von anderen Abteilungen unseres Hauses bzw. auswärtigen Kliniken vorgestellt worden waren (n=9; 8w, 1m, Alter 38–75 Jahre, Median 55 J.). Der Zeitpunkt der chirurgischen und radiologischen Tumorbehandlung lag bei der Mehrzahl mehr als 20 Jahre zurück (10–39 J.) (Tabelle1 ([Tab. 1]). Ausschlusskriterium war das Auftreten eines Rezidivs. Bei den Patienten erfolgte zunächst die klinische und pharyngolaryngoskopisch/stroboskopische Untersuchung, je nach Bedarf ergänzt durch Bronchoskopie und Ösophagoskopie sowie eine Videofluoroskopische Untersuchung der Schluckfunktion.

Ergebnisse

Anamnestisch hatte die Mehrzahl der Patienten nach jahrelanger weitgehender Beschwerdefreiheit zunächst Stimmveränderungen und/oder Atemprobleme mit Luftnot bemerkt, später gehäufte Infekte bis schwere Pneumonien sowie Schluckbeschwerden und erhebliche Gewichtsabnahme. Diese Symptome entwickelten sich teilweise langsam über einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren, verschlechterten sich aber auch in 2 Fällen innerhalb weniger Monate. 5 Patienten waren bei Aufnahme bereits tracheotomiert und mussten über eine Perkutan-Endoskopische-Gastrostomiesonde (PEG) ernährt werden (Tabelle 1 [Tab. 1]). Als Hauptursachen wurden erfasst: (1) Fibrosen der Halsweichteile mit Einschränkung der Hyoid- und Larynxhebung, (2) Beeinträchtigungen der Halswirbelsäulenbeweglichkeit (3) Schleimhautveränderungen und Sensibilitätsstörungen mit Reduzierung der Schluckreflexauslösbarkeit (4) Minderung der Zungenbeweglichkeit und -kraft (5) Reduktion der Pharynxkontraktion (6) Bewegungseinschränkung von Epiglottis und Taschenfalten, Stimmlippenparesen mit Reduzierung der Glottisweite und/oder des Kehlkopfverschlusses (7) Ödeme und Gefäßerweiterungen der Stimmlippenschleimhaut mit Beeinträchtigung der Schwingungsfähigkeit (8) Stenosen bzw. Transportineffizienz des Oberen Ösophagussphinkters sowie Ösophagusmotilitätsstörungen (Abbildung 1 [Abb. 1], Abbildung 2 [Abb. 2]).

Je nach Vorliegen und Ausmaß dieser pathophysiologischen Veränderungen entwickelten wir ein Behandlungskonzept, das folgende Komponenten umfasste:

  • Funktionelle Dysphagietherapie (FDT) mit den Schwerpunkten Reflexstimulation, Verbesserung der Zungenkraft, der pharyngealen und laryngealen Beweglichkeit, Erlernen von Haltungsänderungen, Schluck- und Reinigungstechniken, Kostanpassung
  • Stimm- und Atemtherapie unter der besonderen Berücksichtigung eines verbesserten Kehlkopfverschlusses für die Stimmgebung und den Schluckvorgang bei gleichzeitiger Verhinderung einer weiteren Verengung der Glottis bei der Atmung
  • Physikalische Maßnahmen mit Mobilisation der verhärteten Strukturen der Halsweichteile sowie HWS-Behandlung
  • Falls erforderlich, Ösophagusbougierung bei Stenosen, konsequente Refluxbehandlung

Von den bereits tracheotomierten Patienten verstarben 2 Patienten an Arrosionsblutungen nach Tracheotomie, 1 Patientin nach versuchter plastischer Rekonstruktion des OÖS. Bei einer Patientin mussten zunächst gebrochene Drähte einer im Vorkrankenhaus erfolgten Laryngo-Hyoideo-Mentopexie entfernt werden, nach den anschließenden konservativen Therapiemaßnahmen konnte sie dekanüliert werden, eine orale Nahrungsaufnahme war jedoch nicht mehr möglich. Bei einer weiteren Patientin konnte vorerst die dauerhaft geblockte Kanüle durch eine blockbare Sprechkanüle ersetzt werden, die Therapie dauert an. 2 Patienten mussten wegen Stenosen des oberen Ösophagussphinkters wiederholt bougiert werden, bei einer Patientin besteht eine Insuffizienz des oberen Ösophagussphinkters verbunden mit einer hochgradigen Ösophagusmotilitätsstörung und schwerer Refluxsymptomatik. Durch die intensive konservative Therapie erreichten jedoch 4 Patienten eine aspirationsfreie Nahrungsaufnahme und sowohl eine Verbesserung der Stimmfunktion als auch der Glottisweite, sodass eine drohende Tracheotomie bisher vermieden werden konnte.

Diskussion

Das gemeinsame Störungsmuster der untersuchten Patienten zeigt, dass die Schädigungen an den Strukturen von Hals, Oropharynx und Larynx sowie des Ösophagus als Spätfolgen nach Bestrahlung der Schilddrüse anzusehen sind [2], [4], welches als Ursache der Beschwerden nach den Angaben der Patienten bisher nicht oder nur unzureichend berücksichtigt worden war. Ob sich die gravierenden Folgen der damaligen Bestrahlungsweise mit neueren Behandlungskonzepten (Intensity-Modulated Radiotherapy, IMRT [1], [5]) minimieren oder vermeiden lassen, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Aufgrund der erhöhten Komplikationsrate chirurgischer Interventionen nach Radiatio sollte eine konservative Behandlung angestrebt werden, welche nach unseren Erfahrungen über einen Zeitraum von Jahren, möglicherweise lebenslang erforderlich sein kann. Die Behandlung sollte bereits bei Beginn der Beschwerden einsetzen, um die Entwicklung lebensbedrohlicher Funktionseinschränkungen zu vermeiden. Eine entsprechende Aufklärung der Patienten ist unerlässlich, um eine frühzeitige gezielte Diagnostik zu ermöglichen. Eine Erweiterung der Langzeitbewertung allgemeiner chirurgischer vs. radiologischer Tumortherapie unter Einbeziehung der beschriebenen Spätfolgen sollte in Erwägung gezogen werden.


Literatur

1.
Peponi E, Glanzmann C, Willi B, Huber G, Studer G. Dysphagia in head and neck cancer patients following intensity modulated radiotherapy (IMRT). Radiat Oncol. 2011;6:1. DOI: 10.1186/1748-717X-6-1. External link
2.
Lazarus CL. Effects of chemoradiotherapy on voice and swallowing. Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg. 2009;17(3):172-8. DOI: 10.1097/MOO.0b013e32832af12f External link
3.
Lin YS, Jen YM, Lin JC. Radiation-related cranial nerve palsy in patients with nasopharyngeal carcinoma. Cancer. 2002;95(2):404-9. DOI: 10.1002/cncr.10668 External link
4.
Jensen K, Lambertsen K, Grau C. Late swallowing dysfunction and dysphagia after radiotherapy for pharynx cancer: frequency, intensity and correlation with dose and volume parameters. Radiother Oncol. 2007;85(1):74-82. DOI: 10.1016/j.radonc.2007.06.004 External link
5.
Feng FY, Kim HM, Lyden TH, Haxer MJ, Worden FP, Feng M, Moyer JS, Prince ME, Carey TE, Wolf GT, Bradford CR, Chepeha DB, Eisbruch A. Intensity-modulated chemoradiotherapy aiming to reduce dysphagia in patients with oropharyngeal cancer: clinical and functional results. J Clin Oncol. 2010;28(16):2732-8. DOI: 10.1200/JCO.2009.24.6199 External link