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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Reifung des auditorischen Systems bei Geschwistern mit auditorischer Synaptopathie/Neuropathie (AS/AN) und sequentiell bilateraler Cochleaimplantation

Poster

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  • corresponding author presenting/speaker Ruth Lang-Roth - Phoniatrie und Pädaudiologie, CIK, Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • author Martin Walger - Audiologie, Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • author Barbara Streicher - CIK, Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppP31

doi: 10.3205/12dgpp67, urn:nbn:de:0183-12dgpp676

Published: September 6, 2012

© 2012 Lang-Roth et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die auditorische AS/AN ist ein Subtyp der sensorineuralen Schwerhörigkeit, die sehr oft mit einer hochgradigen Schwerhörigkeit einhergeht. Führt eine Hörgeräteversorgung nicht zu einem ausreichenden Hörerfolg, kann eine Cochleaimplantation erfolgreich sein. Eine präoperative Abschätzung des postoperativen Hörens ist nicht möglich. Nach einer erfolgreichen Implantation entwickeln sich Hörreaktionen und Sprachverstehen.

Material und Methoden: Zwei Geschwister mit einer genetisch bedingten AS/AN und klinisch hochgradig an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit wurden nach einer erfolglosen Hörgeräteversorgung im Alter von 14 bzw. 29 Monaten einseitig mit einem Cochlear Implant versorgt. Die Implantation der zweiten Seite erfolgte 6 Jahre später auf dem zweiten Ohr. Im Verlauf wurde die Entwicklung der Hörreaktionen und des Einsilberverstehens dokumentiert. Die Reifung der unteren Hörbahn wurde 18 Monate nach der zweiten Implantation abgeleitet und verglichen.

Ergebnisse: Nach der Cochleaimplantation der 1. Seite erfolgte eine intensive Rehabilitation mit einer zunächst schwierigen Sprachprozessoranpassungsphase. Beide Kinder entwickelten gute Hörreaktionen und Sprachverstehen.

Die Hörreaktionen auf der 2. Seite haben sich die innerhalb der ersten Monate entwickelt, das Sprachverstehen erst sehr langsam im 3. Jahr postoperativ. Elektrophysiologisch waren 18 Monate nach der Zweitimplantation die FEEPs auf der erst implantierten Seite gut nachweisbar, auf der später implantierten Seite bei dem jüngeren Kind noch schwach synchronisiert. Die MEEPs und SAEPs sind 18 Monate nach der Implantation auf der später implantierten Seite deutlich schwächer ausgeprägt.

Diskussion: Die Cochleaimplantation bei dieser Form der AS/AN führt zu einer Reifung des auditorischen Systems mit guter Hör- und Sprachentwicklung. Die Reifung der mittellatenten und späten Potenziale geht mit einem zunehmenden Einsilberverstehen einher. Die Reifung des auditorischen Systems der spät versorgten Seite ist möglich, wenngleich langwierig, so dass auch hier eine frühzeitige Implantation der zweiten Seite sinnvoll ist.


Text

Hintergrund

Die auditorische Synaptopathie/Neuropathie (AS/AN) ist ein Subtyp der sensorineuralen Schwerhörigkeit. Die Ursache liegt entweder im Verlust oder der Funktionsstörung der inneren Haarsinneszellen und ihrer Synapsen oder im Bereich der Spiralganglienneurone. Die individuelle Hörfähigkeit ist sehr unterschiedlich und reicht von einer eingeschränkten Zeitauflösung bis hin zur Taubheit [1]. Sind Kinder von Geburt an betroffen ist die erfolgreiche Hörrehabilitation die Grundlage für die lautsprachliche Entwicklung. In vielen Fällen geht die AS/AN mit einer hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit einher. Führt eine Hörgeräteversorgung nicht zu einem ausreichenden Hörerfolg, kann die Cochleaimplantation erfolgreich sein. Eine präoperative Abschätzung des postoperativen Hörens ist in der Regel nicht möglich, da die Unterscheidung in Synaptopathie oder Neuropathie meist nicht gelingt. Nach einer erfolgreichen Implantation entwickelt das Kind abhängig von seinen kognitiven Fähigkeiten und der Förderung Hörreaktionen und Lautsprache.

Es ist anzunehmen, dass eine erfolgreiche Cochleaimplantation zu einer Reifung des auditorischen Systems führt. Diese lässt sich durch die Ableitung der mittellatenten und späten akustisch evozierten Potentiale darstellen.

Material und Methode

In einer klinischen Verlaufsbeobachtung zweier Geschwister mit einer genetisch bedingten AS/AN wurde die Reifung des auditorischen Systems nach Cochleaimplantation durch Messung der elektrisch evozierten Potentiale untersucht. Vor der Implantation wiesen sie die typische Befundkonstellation eine AS/AN auf [2].

Sie waren klinisch hochgradig an Taubheit grenzend schwerhörig und wurden zunächst mindestens 4 Monate mit hochgradig verstärkenden Hörgeräten versorgt. Unter dieser Hörgeräteversorgung waren keine Hörreaktionen erkennbar, so dass sie im Alter von 14 bzw. 29 Monaten, am gleichen Tag einseitig mit einem Cochlea Implantat rechts versorgt wurden.

Nach der Cochleaimplantation der ersten Seite erfolgte eine intensive Rehabilitation mit einer zunächst schwierigen Sprachprozessoranpassungsphase. Beide Kinder entwickelten unter intensiver Förderung verzögert gute Hörreaktionen. Die Lautsprachentwicklung erfolgte zweisprachig und verlief ebenfalls verspätet, dann aber sehr positiv, so dass beide Kinder annähernd hörentwicklungsaltersgemäß die deutsche Sprache erworben haben. Im altersentsprechenden Einsilbertest erreichten sie 70 bzw. 100%.

Sieben Jahre später entschieden sich die Eltern zur Implantation der zweiten Seite (links). Innerhalb der ersten postoperativen Monate entwickelten sich links Hörreaktionen. Das Sprachverstehen entwickelte sich langsam ab dem 2. postoperativen Jahr. Der Verlauf der Hörreaktionen und das Einsilberverstehen wurden dokumentiert. Drei Monate nach der Implantation der Gegenseite wurde die Reifung der Hörbahn beider Seiten miteinander verglichen.

Ergebnisse

Bei dem älteren Jungen waren die FEEPs bds. ab 20 dB im Freifeld durch Clickreize evozierbar. Das jüngere Mädchen hatte auf der erstimplantierten Seite gut nachweisbare FEEPs, auf der später versorgten Seite waren diese schwach ausgeprägt. Die mittellatenten Potenziale unterschieden sich deutlich und die späten Potenziale sind auf der zweiten Seite nur schwach beziehungsweise bei dem älteren Kind nicht nachweisbar. Zu diesem Zeitpunkt bestand kein Einsilberverstehen im Sprachaudiogramm.

Zusammenfassung und Diskussion

Die frühe Cochleaimplantation und intensive lautsprachliche Förderung führte bei dieser Form der genetischen AS/AN zu einer Reifung des auditorischen Systems mit guter Hör- und Sprachentwicklung. Drei Monate nach der Implantation der Gegenseite ließen sich Hörreaktionen nachweisen, ein Einsilberverstehen bestand nicht. Die FEEP waren bds. sicher abzuleiten. Die weitere Verlaufsbeobachtung soll klären, ob unter elektrischer Stimulation bei später Versorgung der Gegenseite (8 bzw. 7 Jahre) die Hörbahn entsprechend nachreift und sich ein Einsilberverstehen entwickelt.


Literatur

1.
Moser T, Strenzke N, Meyer A, Lesinski-Schiedat A, Lenarz T, Beutner D, Foerst A, Lang-Roth R, von Wedel H, Walger M, Gross M, Keilmann A, Limberger A, Steffens T, Strutz J. Diagnostik und Therapie der auditorischen Synaptopathie/Neuropathie [Diagnosis and therapy of auditory synaptopathy/neuropathy]. HNO. 2006 Nov;54(11):833-9. DOI: 10.1007/s00106-006-1450-3 External link
2.
Walger M, Foerst A, Beutner D, Streicher B, Stürmer K, Lang-Roth R. Auditorische Synaptopathie/Neuropathie: Klinik und Diagnostik [Auditory synaptopathy/neuropathy: clinical findings and diagnosis]. HNO. 2011 May;59(5):414-24. DOI: 10.1007/s00106-011-2301-4 External link