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Entscheidung nicht trotz, sondern wegen Unsicherheit: Indikationsstellung als Aufbau interner Evidence in der Begegnung – unter Nutzung externer Evidence
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Published: | March 11, 2013 |
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Hintergrund: Der Tagungstitel „Entscheidung trotz Unsicherheit“ suggeriert, es seien auch Entscheidungen bei Sicherheit nötig. Aber bei Sicherheit könnte man sich mit automatisierbaren Ableitungen aus Studien und bekannten individuellen Präferenzen begnügen. Von Entscheidungen wäre so wenig zu sprechen. Der Tagungstitel müsste also heißen „Entscheidungen wegen Unsicherheit“. Sind EbM, EbN und EbP solchen Entscheidungen gewachsen?
Methode: Logik, probabilistische Statistik
Ergebnisse: In der Ökonomie wird seit einem Jahrhundert zwischen „Risiko“ und „Unsicherheit“ unterschieden. Von „Risiko“ sprechen wir, wenn die Wahrscheinlichkeit bzw. die Häufigkeit eines gefürchteten Ereignisses bekannt ist, von „Unsicherheit“ dagegen, wenn Wahrscheinlichkeit bzw. Häufigkeit eines Ereignisses nicht bekannt ist. So gehen z.B. Versicherungen davon aus, sie wüssten, alle wieviel Fahrtkilometer oder alle wieviel Autofahrer- ein schwerer oder sogar tödlicher Unfall vorkommt. Ebenso sind „numbersneededtotreat“ für viele unserer Behandlungen bekannt. Während Versicherungen auf dieser Risiko-Kenntnis gut die notwendigen Versicherungsbeiträge errechnen können, haben sie doch keine Ahnung, wen das versicherte Ereignis „Unfall“ trifft. Der Schluss von einer statistischen Wahrscheinlichkeit für eine Population auf einen Einzelfall ist logisch ausgeschlossen. Daher kann man auch nie von einer „numberneededtotreat“, selbst wenn die ihr zugrundeliegenden Studien von höchster externer Evidence sind, darauf schließen, wer nach einer Behandlung geheilt wird, wer nicht. Während es für Populationen (und damit für Versicherungen) mehr Risiken als Unsicherheiten gibt, gibt es für Individuen viel mehr Unsicherheiten als Risiken.
EbM und EbN sind der beschriebenen Situation einer Entscheidung unter Unsicherheit angemessen, insoweit sie konsequent zwischen der externen Evidence der Häufigkeitsverteilungen einerseits und dem Aufbau interner Evidence in der Begegnung mit dem je einzigartigen Klienten andererseits unterscheiden. Wäre eine Entscheidung aus externer Evidence allein ableitbar, könnte ein Automat (oder ein Therapeut) die richtige Entscheidung ableiten. Da aber eine Entscheidung unter individueller Unsicherheit zu treffen ist, muss sich der Therapeut seinem Klienten als Gesprächspartner bereitstellen, damit dieser seine Ziele und Gefühle klären und sich entscheiden kann. Ohne Aufbau interner Evidence in der Begegnung kann keine Indikation gestellt werden.