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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Stellungnahme der AWMF zum "Entwurf einer Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung - Version 2.0" des IQWiG

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2009;6:Doc10

doi: 10.3205/awmf000183, urn:nbn:de:0183-awmf0001839

Received: April 27, 2009
Published: April 27, 2009

© 2009 Selbmann.
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Zusammenfassung

Mit Datum vom 18. März 2009 hatte das IQWiG die zweite Fassung des Entwurfs eines Methodenpapiers für die Kosten-Nutzen-Bewertung (KNB) veröffentlicht. Begleitet wurde die Veröffentlichung von drei technischen Anhängen. Vorausgegangen war die Version 1.1 des Entwurfes vom 14.10.2008 und die Arbeit einer Arbeitsgruppe des Wissenschaftlichen Beirates des IQWiG, der 5 Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates (darunter zwei Medizinethiker), 2 Mitglieder des internationalen Expertenpanels und 2 deutsche Gesundheitsökonome angehörten. Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe sind unter dem Titel „Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates des IQWiG für die Version 2.0“ ebenfalls auf der Homepage des IQWiG nachzulesen.

Bis zum 20. April 2009 erwartet das IWQiG Stellungnahmen zur KNB-Entwurfsversion 2.0. "Diese werden dann in die erste Arbeitsversion der "Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen" (KNB-Methoden 1.0) einfließen, die für den Sommer 2009 geplant ist. Ebenfalls aufgenommen werden dann die Erkenntnisse aus drei Erprobungen, in denen derzeit die Machbarkeit des Methodenvorschlags getestet wird. Die Ergebnisse dieser Probeläufe sollen in einem Workshop vorgestellt und diskutiert werden.“ (www.iqwig.de/index.844.htm).

Die vorliegende Stellungnahme der AWMF geht primär auf die strategischen und taktischen und weniger auf die operationalen Aspekte der Kosten-Nutzen-Bewertung ein. Zu Letzteren Stellung zu nehmen, wird Zeit sein, wenn die erste Arbeitsversion KNB-Methoden 1.0 vom IQWiG vorgelegt wird.


Text

Drei Vorbemerkungen zum Stand des Methodenentwicklungsverfahrens:

1. Der Wissenschaftliche Beirat des IQWiG und seine Arbeitsgruppe haben sich noch nicht öffentlich dazu geäußert, ob ihre Empfehlungen, die mit vielen Minderheitsvoten versehen sind, tatsächlich vom IQWiG in der KNB-Entwurfsversion 2.0 berücksichtigt und in ihrem Sinn umgesetzt worden sind.

2. Die jetzt vorgelegte KNB-Entwurfsversion 2.0 enthält nicht die Ergebnisse der drei Probeläufe, weil diese zur Zeit der Publikation noch nicht abgeschlossen waren. Probeläufe macht und finanziert man eigentlich, um zu überprüfen, ob theoretische Überlegungen in die Praxis umsetzbar sind. Es könnte also sein, dass weitere Modifikationen an der KNB-Entwurfsversion 2.0 notwendig werden. Dies kann insbesondere auch für die jetzt erst zur Diskussion gestellten technischen Anhänge „Kostenbestimmung“, „Modellierung“ und „Unsicherheit“ gelten.

3. Die erste Arbeitsversion KNB-Methoden 1.0 ist zum Sommer 2009 zu erwarten. Die AWMF geht davon aus, dass dann dazu eine weitere Stellungsnahmerunde eingeläutet wird.

Das IQWiG schlägt bei einer KNB ein dreistufiges Verfahren vor:

  • die Nutzenbewertung
  • die Kostenbestimmung
  • die ökonomische Bewertung.

Während der erste Schritt einer tatsächlichen Bewertung des Zusatznutzens gilt - genauer des Nettozusatznutzens wegen der notwendigen Abwägung von Zusatznutzen und Zusatzschaden, sollen im zweiten nur die Kosten abgeschätzt werden. Eine neutrale Darstellung der Kosten mit Abschätzung des Ausmaßes der Unsicherheit, die in der Regel größer ist als die des EbM basierten Nutzens, ist schwer genug. Von der ökonomischen Bewertung fordert das IQWiG in der Präambel, sie „muss die deutschen Bedingungen hinsichtlich Epidemiologie, Verfügbarkeit von Versorgungsressourcen, Zugang zur Gesundheitsversorgung, klinische Praxis, Vergütung der Leistungserbringer und organisatorische Strukturen in angemessener Weise abbilden.“ Hierunter lassen sich auch die Fragen nach der Angemessenheit der Kosten und der Zumutbarkeit der Kostenübernahme subsummieren. Letzteres wird das IQWiG nach eigenen Angaben ohnehin nicht leisten können. Unstrittig ist, dass nach der gültigen Gesetzgebung die letzte Entscheidung die Auftraggeber des IQWiQ haben und dass das IQWiG nur wissenschaftlich aufbereitete Entscheidungshilfen erarbeiten und vorlegen kann. Zu den Auftraggebern gehört nicht der Spitzenverband Bund der Krankenkassen.

Die Inhalte der Entscheidungshilfen des IQWiG spiegeln die eingesetzten Methoden wider, beim Einsatz anderer Methoden können sich andere Inhalte ergeben.

Die AWMF hat ihre Sicht der Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen in Deutschland im Herbst 2008 publiziert [1]. Dort wird – in Übereinstimmung mit G-BA und IQWiG – die indikationsspezifische Betrachtung von Nutzen und Kosten als wesentlich hervorgehoben. Das Verbleiben innerhalb einer Krankheitssituation ermöglicht auch den Einsatz krankheitsspezifischer und daher besser differenzierender Lebensqualitätsindizes oder anderer aggregierender Scores.

Erfreulich ist, dass durch die Überarbeitung der KNB-Entwurfsversion 1.1 und die erstmalige Veröffentlichung des Technischen Anhangs zur Kostenbestimmung eine Rahmenmethodik für die Kostenbestimmung zur Diskussion gestellt ist. Ob sie tatsächlich trägt und mit wie großen Unsicherheiten bei der Modellierung der Kosten zu rechnen ist, sollten eigentlich die Probeläufe und die daraus abgeleiteten Verallgemeinerungen klären.

Drei Aspekte der AWMF, auf die die KNB-Entwurfsversion 2.0 aus nahe liegenden Gründen nicht eingeht, müssen auch weiterhin bei der Schaffung einer allgemein gültigen Methodik der KNB beachtet werden und bedürfen einer Klärung:

  • die nach Ansicht der AWMF den Stellungnahmen zu den Berichtsplänen vorzuschaltenden Sichtungsworkshops (Scoping Workshops), die bei Kosten-Nutzen-Bewertungen noch notwendiger sind als bei Nutzenbewertungen.
  • die Begrenzung auf die GKV-Perspektive, deren Überschreitung zwar möglich sein soll, z.B. nach Aufforderung durch die Auftraggeber, für die dann aber gleich wohl eine Methodik benötigt wird.
  • die (gesetzliche) Beschränkung auf Arzneimittel, die dazu führt, dass für KNB von Medizinprodukten oder anderen Technologien (wie z.B. Operationen oder Psychotherapien) eine eigene Methodik notwendig sein wird, wenn deren besonderen Anforderungen nicht jetzt schon berücksichtigt werden. Es sei daran erinnert, dass die „Allgemeinen Methoden Version 3.0“ des IQWiG eigene Abschnitte für nicht-medikamentöse Therapien und diagnostische Verfahren enthalten.

Folgende Aspekte sind auch in der KNB-Entwurfsversion 2.0 noch ungelöst bzw. wurden nur vage bzw. wenig operational angesprochen:

1.
Die AWMF hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Abwägung zwischen Nutzenunterschieden und Schadensunterschieden sowohl in den „Allgemeinen Methoden 3.0“ als auch jetzt in der KNB-Entwurfsversion 2.0 exakter und reproduzierbarer gefasst werden muss.
2.
Es ist methodisch unbestritten, dass bei einem zweistufigen Vorgehen bei der Nutzenbewertung und der anschließenden KNB die gleichen Nutzen- und Schadensmaße verwendet werden müssen. Ansonsten kann es zu inkonsistenten Aussagen kommen. Dies bedeutet aber, dass erstens alle entscheidenden Maße für die Nutzenbewertung auch bei der KNB zu verwenden sind und umgekehrt, dass alle für die KNB benötigten Maße (kardinalskalierte Nutzen-Schaden-Abwägungen, Betrachtungsperspektiven, Zeiträume, Aktualität, Deutschlandbezug) bereits bei der Nutzenbewertung eingesetzt werden müssen. Eine besondere Herausforderung der KNB dabei ist, dass sie nicht von Nutzenmaßen sondern von Werten ausgeht. Die genannten Anforderungen sind keineswegs trivial und sicher auch nicht für alle Fragestellungen zu erfüllen. Über ihre Machbarkeit sollten die Probeläufe Auskunft geben, wobei zu hoffen ist, dass die Probeläufe tatsächlich die Vielfalt der Probleme abdecken und nicht nur mit idealtypischen Beispielen durchgeführt werden.
3.
Die Frage, ob eine Leistung von der Solidargemeinschaft bezahlt werden soll oder nicht (Alternativentscheidung), ist mit Methoden der Entscheidungsanalyse zu beantworten. Eine evidence-Basierung macht die Anwendung einer Entscheidungsanalyse nicht obsolet. Auch die Empfehlungen des IQWiG müssten das Resultat IQWiG-interner Entscheidungsverfahren sein.

Bei nicht ganz eindeutigen Sach- und Datenlagen (z.B. Hinweise statt Belege) sind sogar mehrere Entscheidungsmöglichkeiten denkbar, die sich durch Wahrscheinlichkeitsannahmen unterscheiden. Die Entscheidungsmöglichkeiten und die Entscheidungsvorgänge sind den Auftraggebern und den zu Beteiligenden nach SGB V (§35 Abs. 2 bzw. §139a Abs. 5 SGB V) gegenüber transparent zu machen.

Die AWMF erwartet mit großem Interesse die zahlreichen Stellungnahmen anderer Organisationen zur KNB-Entwurfsversion 2.0 des IQWiG, insbesondere aber die avisierten Ergebnisse der Probeläufe. Beide werden hoffentlich bald allen zu Beteiligenden nach SGB V und Stellungnehmern zur Verfügung gestellt. Die AWMF wird sich auch weiterhin an der Diskussion um eine leistungsfähige Kosten-Nutzen-Bewertung in Deutschland beteiligen.


Literatur

1.
Selbmann HK (2008) Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen in Deutschland aus der Sicht von Fachgesellschaften. Die Psychiatrie 5: 275-281