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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Vorsicht bei ärztlichen Abrechnungsempfehlungen: Kartellrechtsverstöße können für fachärztliche Berufsverbände und medizinische Fachgesellschaften teuer werden

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2016;13:Doc4

doi: 10.3205/awmf000316, urn:nbn:de:0183-awmf0003165

Received: August 9, 2016
Published: August 9, 2016

© 2016 Kuball et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Verstöße gegen kartellrechtliche Vorschriften werden meist in Zusammenhang mit Preisen bei Tankstellen, Süßwaren oder Arzneimitteln gebracht. Immer wieder berichten die Medien von verbotenen Preisabsprachen, die Einfluss auf den Wettbewerb nehmen und den beteiligten Unternehmen Marktanteile und größere Renditen sichern sollen. Die Kartellbehörden auf Bundes- und Landesebene ermitteln jährlich in vielen Fällen und verhängen zum Teil saftige Bußgelder. Auch wenn dies auf den ersten Blick überraschend sein mag, hat es auch schon solche kartellrechtliche Verfahren gegen ärztliche Berufsverbände und medizinische Fachgesellschaften gegeben. Gegenstand solcher Ermittlungen waren in erster Linie Empfehlungen von Berufsverbänden zur Abrechnung ärztlicher Leistungen oder Preisabsprachen über bestimmte Endpreise oder feste Multiplikatoren. Welche Grundsätze beachtet werden müssen, damit solche Empfehlungen nicht als Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften zu qualifizieren sind, wird im Folgenden dargestellt.


Text

1. Grundprinzip des Kartellrechts: Freiheit des Wettbewerbs

Nach § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, gesetzlich verboten. Das Kartellrecht soll die Freiheit des Wettbewerbs schützen und beruht auf drei Säulen:

1.
das Kartellverbot, das heißt das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen,
2.
das Missbrauchsverbot, das heißt das Verbot missbräuchlicher einseitiger Verhaltensweisen durch ein marktbeherrschendes Unternehmen,
3.
eine präventive Strukturkontrolle, das heißt eine Fusionskontrolle in Bezug auf Unternehmenszusammenschlüsse (z.B. Tengelmann und EDEKA).

Mit diesen Grundsätzen sollen die Wirksamkeit des freien Marktgeschehens und die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs gesichert werden.



Dem Kartellrecht unterliegen nicht nur Absprachen in Bezug auf einheitliche Preise, sondern beispielsweise auch rechtlich unverbindliche Absprachen („Frühstückskartelle“), Beschlüsse von Vereinigungen oder Gesellschaften, einseitige wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen und ein bewusstes Parallelverhalten. Dies betrifft sowohl horizontale als auch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen. Erfasst sind demnach nicht nur Vereinbarungen, Beschlüsse oder andere aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen unter miteinander im Wettbewerb stehender Unternehmen, sondern auch Fälle nachgelagerter Wirtschaftsstufen. Hiervon betroffen sind insbesondere wettbewerbsbeeinträchtigende Abreden zwischen Angehörigen im Unter-/ Überordnungsverhältnis bzw. Stufenverhältnis.

2. Ärzte als „Unternehmen“

Nach allseits anerkannter Auffassung des Bundeskartellamts und des Bundesgerichtshofs sind auch Ärzte Unternehmen im Sinne der kartellrechtlichen Vorschriften. Dementsprechend sind ärztliche Vereinigungen als Unternehmensvereinigungen zu qualifizieren und unterliegen damit denselben Vorschriften wie rein wirtschaftlich ausgerichtete Unternehmensvereinigungen. Maßgeblich ist, dass eine Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr ausgeübt, also eine Leistung gegen Vergütung erbracht wird. Der Umstand, dass der ärztliche Beruf kein Gewerbe ist, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Solange daher das ärztliche Berufsrecht über keine speziellen Vorschriften zur Beschränkung des Wettbewerbs verfügt, unterliegen Ärzte wie alle anderen Unternehmer auch den kartellrechtlichen Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).



Dies gilt unabhängig davon, ob das betreffende Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht tätig ist oder nicht. Denn die Absicht der Gewinnerzielung ist kein den Unternehmensbegriff prägendes Merkmal. So können auch gemeinnützige Organisationen und Vereinigungen Wettbewerbsbeschränkungen bewirken und als Teilnehmer am Markt auftreten. Dies trifft insbesondere auf die zahlreichen medizinischen Fachgesellschaften und fachärztlichen Berufsverbände zu, die in der Regel in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins organisiert sind und für sich gesehen auch noch über eine spezifische „Marktmacht“ verfügen.

3. Empfehlung ist nicht gleich Empfehlung

Bis zum Jahr 2005 war im GWB ausdrücklich festgehalten, dass Unternehmen im Sinne der kartellrechtlichen Vorschriften keine Empfehlungen zur Preisbildung aussprechen dürfen. Solche preisbezogenen Empfehlungen haben aber auch heute noch kartellrechtliche Relevanz, weil sie als Verstoß gegen die Generalvorschrift des § 1 GWB angesehen werden können. Dies betrifft insbesondere auch Ärztekammern, medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften oder fachärztliche Berufsverbände, die ihren Mitgliedern regelmäßig Abrechnungsempfehlungen aussprechen. Dabei ist jedoch von Fall zu Fall zu differenzieren, denn nicht jede Art von Empfehlung kann per se als Verstoß gegen das Kartellrecht qualifiziert werden. Die Definition einer kartellrechtlich relevanten Empfehlung ist weitläufig und reicht von konkreten Abrechnungsempfehlungen (Abrechnungstipps) über orientierende Vorschläge bis hin zu Hinweisen zum regional üblichen Honorar (wie macht es der Kollege).



Bei der Frage, ob ärztliche Berufsvereinigungen sich auf kartellrechtlich relevantem Terrain bewegen, muss zunächst auf die Aufgaben dieser Vereinigungen hingewiesen werden. Die Ärztekammern haben unter anderem für die Einhaltung der berufsrechtlichen Pflichten ihrer Mitglieder zu sorgen und die beruflichen Belange der Ärzteschaft zu wahren. Fachgesellschaften und Berufsverbände sind oft die erste Anlaufstelle, wenn Ärzte Fragen zu aktuellen Standards (Leitlinien) oder zur Aus-, Weiter- und Fortbildung in ihrem Fachgebiet haben. Vor diesem Hintergrund müssen diese Institutionen ihre Mitglieder häufig mit einschlägigen Informationen versorgen, die nicht nur sie selbst, sondern auch Dritte betreffen. Da die Berufsordnungen nicht nur Vorschriften zum berufsethischen Verhalten gegenüber Patienten oder Kollegen, sondern auch Regelungen bezüglich das Wettbewerbsverhalten enthalten, können Ärztekammer, Fachgesellschaften und Berufsverbände einen erheblichen Einfluss auf die Tätigkeit ihrer Mitglieder nehmen.



Ärzte sind oft auf die Auskünfte ihrer Standesvertretung angewiesen. Bei der Art der Informationen muss unterschieden werden: Empfehlungen, die sich darauf beziehen, was standesrechtlich grundsätzlich erlaubt ist oder wie in einer bestimmten Situation verfahren werden soll, bewegen sich im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung der jeweiligen Organisation und sind stets kartellrechtlich zulässig. Die Kammern bzw. Berufsverbände können ihren Mitgliedern also sachliche Informationen zuteilwerden lassen, die für die Ausübung ihres Berufes grundsätzlich relevant sind und bei der sie lediglich ihrer Funktion als Interessenvertreter gerecht werden. Dies gilt auch, wenn die Auskunft nicht nur auf die Nachfrage eines einzelnen Arztes erteilt, sondern beispielsweise in einer Mitgliederzeitschrift an alle Leser gerichtet wird.



Ist innerhalb einer Facharztgruppe zum Beispiel streitig, ob eine bestimmte Ziffer der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) überhaupt bei einem bestimmten Eingriff abgerechnet werden darf, kann die jeweilige Ärztekammer eine diesbezügliche Auskunft erteilen. Ebenfalls ist die Erteilung von Ratschlägen erlaubt, die dem Zweck dienen, einem Berufsträger zu erläutern, ob er sich hinsichtlich seiner Abrechnung berufsrechtswidrig verhält oder nicht.



Sobald eine solche Empfehlung jedoch eine Handlungsanleitung beinhaltet und grundsätzlich dazu geeignet ist, Einfluss zu nehmen und ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, kann ein Verstoß gegen das Kartellrecht vorliegen. Dies betrifft Empfehlungen, die nicht nur eine bloße Auskunft enthalten, sondern eine Maßnahme darstellen, mit der den Adressaten ein bestimmtes Verhalten nahe gelegt wird. Nicht erforderlich ist, dass die Erklärung verbindlich erscheint. Es reicht aus, dass ein bestimmtes Verhalten als vorteilhaft angeraten wird.



So wurden zum Beispiel kartellrechtliche Verfahren eingeleitet, nachdem die Bundeszahnärztekammer eine Empfehlung an Zahnärzte ausgesprochen hatte, alle Gestaltungsmöglichkeiten der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) zu nutzen und nicht aus Scheu vor Auseinandersetzungen eine Gebührenreduzierung auf den 2,3fachen Satz bei berechtigter höherer Liquidation vorzunehmen. Das Bundeskartellamt hat außerdem darauf aufmerksam gemacht, dass nach den Vorschriften des Kartellrechts die individuelle Honorarentscheidung des Arztes auf keine Weise im Kollegenkreis abgestimmt oder koordiniert werden darf. Unzulässig sind nach Einschätzung des Bundeskartellamts auch Empfehlungen durch Ärztevereinigungen, medizinische Verlage etc. über Honorare, die zu einer Umgehung des Kartellverbots führen. Derartige Empfehlungen sind insbesondere gegeben, wenn Abdingungsformulare mit bereits eingedruckten Steigerungs- und Pauschalsätzen als Fest- oder Höchsthonorare an Ärzte verbreitet werden. Besondere Vorsicht ist auch geboten bei Listen berufsständiger Organisationen für individuelle Gesundheitsleistungen, bei denen den einzelnen ärztlichen Leistungen bereits konkrete einheitliche Preise oder Steigerungssätze vorgegeben sind. Unzulässige Preisabsprachen können zudem in den von einigen privatärztlichen Abrechnungsstellen herausgegebenen Abrechnungsempfehlungen gesehen werden. Problematisch sind auch einheitliche Abrechnungen ärztlicher Leistungen unter Verwendung immer wieder feststehender Begründungen für die Wahl höherer Steigerungsfaktoren.



Unproblematisch hingegen ist die Preisfindung immer dann, wenn sie Einzelfall bezogen erfolgt und die Besonderheiten des jeweiligen Behandlungsfalles berücksichtigt. Auch dürfen die betriebswirtschaftliche Kalkulation und die Akzeptanz des Preises durch den Patienten Auswirkungen auf den Endpreis haben.

4. Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) als Preisvorschrift

Die Vorschriften der GOÄ sind dazu bestimmt, den Preiswettbewerb der Ärzte untereinander zu regeln und so das Marktverhalten zu beeinflussen. Sie sind als Marktverhaltensregeln anzusehen. Das gilt insbesondere für § 5 GOÄ, der den Umfang der Bemessung von Gebühren für Leistungen des Gebührenverzeichnisses festlegt. Solche Preisvorschriften dienen in erster Linie der Verhinderung eines ruinösen Preiswettbewerbs, indem gleiche wettbewerbliche Ausgangssituationen geschaffen werden. Dem Grundsatz der Freiheit des Wettbewerbs entsprechend sollen Ärzte allein nach ihrer eigenen ärztlichen Einschätzung entscheiden, mit welchem Steigerungssatz sie die von ihnen erbrachten Leistungen innerhalb des Zulässigen berechnen. Empfehlungen, Vereinbarungen, Beschlüsse oder andere aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind, dass Leistungserbringer in bestimmten Fällen immer in der gleichen Höhe abrechnen, sind kartellrechtlich unzulässig und zu unterbinden. Werden solche unzulässigen Empfehlungen dennoch ausgesprochen, drohen hohe Geldbußen.

Fazit

Abrechnungsempfehlungen von fachärztlichen Berufsverbänden und medizinischen Fachgesellschaften können kartellrechtlich unzulässig sein und entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen. Bei der rechtlichen Einordnung kommt es immer darauf an, in welchem Zusammenhang die Empfehlungen ausgesprochen werden. Allgemeine oder an einzelne Mitglieder gerichtete Hinweise der Berufsvertretungen, ein bestimmtes Berufsverhalten verstoße gegen berufsrechtliche Regelungen, sind in der Regel zulässig; es handelt sich um Empfehlungen im Sinne einer Auskunft. Die Hinweise zielen grundsätzlich darauf ab, bestimmte Verhaltensweisen im eigenen Interesse zu unterlassen bzw. zu ändern. Wird jedoch Einfluss auf die Höhe der ärztlichen Vergütung genommen, liegen regelmäßig echte Handlungsanleitungen vor, die kartellrechtlich nicht zulässig sind. Dies betrifft auch Absprachen zwischen Ärzten zur Festsetzung bestimmter Preise bzw. Steigerungsfaktoren hinsichtlich privatärztlicher Leistungen oder bei der Berechnung von Preisen für Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL). Die Beobachtung des Marktes und eine individuelle Anpassung der eigenen Preise an die marktübliche Vergütung bleiben hiervon stets unberührt.